Die Bahnfee VIII oder Der Nabel der Welt

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Heute bin ich von München aus unterwegs zurück in die schöne Pfalz. Es ist schon dunkel, als ich an diesem kalten Winterabend in die Kakophonie des Münchener Hauptbahnhofs eintauche. Froh, rechtzeitig angekommen zu sein und müde von einer durchwachten Nacht in einem nicht gerade bequemen Hotelbett suche ich mein Abfahrtgleis und meinen Platz.

Pünktlich setzt sich der Zug in Bewegung. Vollkommen übermüdet schaffe ich es nicht einmal mein Laptop auszupacken und an meinem Blog weiter zu schreiben. Ich versuche noch ein paar Zeilen eines schlauen Buches, geschrieben von einem schlauen Autor zu verschlingen aber das eintönige Ruckeln lässt meine Augenlider zufallen.

Plötzlich höre ich ein dumpfes Quietschen. Mein nicht gerade G-Kraft gestärkter Körper möchte dem Sitz entfliehen und bewegt sich in Richtung meines Vordermannes. Dann steht der Zug. Ich falle zurück in meinen Sitz und alle anderen Passagiere auch. Ich meine auch aus Richtung des Hüftknochens der etwas älteren Dame neben mir ein knackendes Geräusch zu vernehmen, aber das bilde ich mir wahrscheinlich nur ein.

Jetzt stehen wir hier. Ich sehe aus dem Fenster: Bahnhof Plochingen. Nun gibt es in Plochingen wirklich schöne und auch sehenswerte Gegenstände, ja, sogar Kunst kann der geneigte Betrachter hier bestaunen. Lediglich in der Nähe des Bahnhofs befindet sich NICHTS.

Nun ja, nun mag man glauben, das ich etwas gegen Plochingen habe. Dem ist aber nicht so. Ich finde Plochingen ist eine ganz nette Stadt. Mit einem Hundertwasserhaus und einem historischen Stadtkern. Wie ich gerade erfahren habe, kann man auch die Ottilienkappelle, das älteste Gebäude der Stadt besichtigen. Sogar Tomi Ungerer hat in Plochingen am Neckar künstlerische Exkremente hinterlassen. Ja, er gestaltete ein Toilettenhäuschen. Plochingen bietet seinen Besuchern sogar Stadtführungen an.

Nur der Plochinger (oder heißt es Plochingener) Bahnhof zählt -übrigens auch offiziell- nicht zu den Sehenswürdigkeiten. Das heißt sinndeutsch: Er ist es nicht wert angesehen zu werden. Und diese Aussage ist wahr. Ich kann es bezeugen, schließlich habe ich ihm mir 120 Minuten lang angesehen. Aus meinem Abteil. In meinem Zug, der leider in Plochingen seinen Antrieb verlor.

Scheinbar waren auch die Mitarbeiter der Bahn nicht informiert. Die Fahrgäste mussten dem erschütterten Zugbegleiter als erstes einmal die Richtung weisen, in der er die Lok finden würde. Aufgeregt kam er in unser Abteil gerannt und faselte etwas von Bügelschaden und das er die Lok nicht mehr finden könne. Ein beherzter Mitreisender bot ihm an mit ihm gemeinsam nach der Lokomotive zu schauen. Am gegenüberliegenden Gleis fuhr gerade ein Regional-Express nach Stuttgart ein.

Gerade als wir (die aufmüpfige Schar der Reisenden) umsteigen wollten, mahnte uns eine aufgeregte Stimme aus der Lautsprecheranlage (sinngemäß zitiert): „ Wir bitten Sie nicht umzusteigen, der Triebwagenführer konnte den Schaden beheben und wir fahren in wenigen Minuten weiter. Der eingefahrene RegionalExpress muss dann VOR dem Bahnhof Stuttgart auf uns warten und somit kommen Sie später in Stuttgart an, wenn Sie jetzt umsteigen.“ Natürlich kam gemäß Dienstanweisung der Bahn die Durchsage auch in englischer Sprache, die ich aber nicht wiederholen kann, auch nicht sinngemäß. Wenn ich mich recht erinnere fehlte er (der Sinn) zur Gänze.

Wir verblieben also nun auf unserem Plätzen und in unseren Abteilen. Es vergingen kostbare Minuten und der RegionalExpress auf dem gegenüberliegenden Gleis fuhr gerade ab, als ein verstörter Zugbegleiter, durch unser Abteil stürmte und uns schreiend fragte, warum wir noch in diesem Zug wären, hier ginge mal gar nix mehr. Unsere Erklärung bezog sich auf die eben gemachte Durchsage seines Kollegen, die er mit „der Depp hat doch keine Ahnung“ kommentierte.

Um seine sicherlich Teambildende Meinung noch zu bestätigen, fiel in diesem Moment die Stromversorgung des gesamten Zuges aus. Wild gestikulierend rannte unser HB-Schaffner in Richtung Lokomotive und wies den Lokführer mit derben Worten an: seinen Bügel, den müsse er schon ausklappen, damit das klappt mit dem Strom. Und wenn das nicht bald klappen würde, dann wüsst‘ er ja, wo er die Nacht verbringen tät‘, in diesem Plochingen. Denn Plochingen, das sei ja der Nabel der Welt.

Um es kurz zu machen, wir standen besagte 120 minuten am Plochinger Bahnhof, ehe die Bahnfee, die Stromzufuhr wieder freigab. Das brachte mir persönlich zwei Erkenntnisse: Plochingen ist -laut Wikipedia- nicht der Nabel der Welt und wenn die Bahnfee mit Ihrem Bügel bügelt, dann sitzen Sie in irgendeinem verschneiten Nest, am Arsch der Welt fest, der sich ja bekanntlich nicht in unmittelbarer Nähe des Nabels befindet.

Aber für den Arsch der Welt ist ja das Tomi Ungerer Toilettenhäuschen wiederum eine sehr sehenswerte Angelegenheit.