Mein ganz persönlicher Castor Protest Protest
Es ist wieder einmal Samstag vormittag und ich begebe mich um diese Uhrzeit für gewöhnlich mit meinem Rad in den nahen Bienwald. So auch heute morgen. Nach dem Frühstück machten sich meine Frau und mein Kind auf zur Schule, die für heute den „Tag der offenen Tür“ eingeplant hatte. Leider passte das so gar nicht in mein Konzept und den Vorschlag meiner Frau mit dem Rad nach Landau zu fahren, konnte ich aufgrund von stürmischem Wind auf freier Strecke beinahe sofort ausschlagen.
So plante ich dann die rund achtzig Kilometer lange Hausrunde, die mich normalerweise am Kandeler Naturfreundehaus vorbei auf eine wunderschöne MTB Strecke führt. Der Trail beginnt kurz vor der Hütte an der Mörder Allee und endet quasi an der deutsch-französischen Grenze an der Bienwaldmühle. Normalerweise fahre ich dann weiter entlang dem Verlauf der Lauter, sozusagen direkt an der Grenze entlang. Wieder auf einem wunderschönen Trail, der etwas anspruchsvoller ist, als der vorgenannte und auch ein paar Tücken bereithält. Ähnlich einer Berg- und Talbahn geht es kleine Anstiege hoch und wieder herunter. An der Grenze entlang ist hier am Flussbett der Lauter eine fast sureale Landschaft entstanden. Mannshohe Farne säumen den Weg, der durch den gewachsenen naturbelassenen Mischwald führt. In der Regel fahre ich auf dem Trail bis nach Wissembourg um dann über Schweighofen den ersten Anstieg in den Pfälzer Wald, den deutschen Ausläufer der Vogesen, in Angriff zu nehmen.
War der erste Teil der Route noch relativ flach, eignet sich der zweite Teil der Strecke dazu, Bergkondition zu trainieren. Über Rechtenbach und Dürrenbach geht es bergauf, bergab nach Bad Bergzabern. Dort durch das Tal und nach Birkenhördt den letzen Berg hinauf. Hinab nach Selz und über Klingenmünster und Steinweiler nach Kandel. Das macht dann Summa summarum 80km und 1200 Höhenmeter. Ich hatte irgendwann im Sommer beschlossen, das das meine ideale Trainingsstrecke ist und die wollte ich auch heute wieder bezwingen. Leider kam ich nicht dazu.
Alles begann schon auf der deutschen Seite der Grenze. Irgendwo zwischen weißem Kreuz und Bienwaldmühle hatte die Forstverwaltung die Waldwege mit Flatterband abgesperrt. In Folie eingeschweißte Ausdrucke bemerkten trocken: Treibjagd – Lebensgefahr Leider versäumten die zuständigen Beamten die Schilder mit den notwendigen Angaben zu versehen. Ich konnte auf keinem der Schilder lesen, wann denn die Jagd beginnt und – was mich mehr interessierte – wann sie beendet war. Leichtsinnigerweise entschloss ich mich, das Jagdgebiet zu umfahren. Meistens sind diese zwei bis drei Kilometer breit und man kann recht schnell drumherum radeln, um die Fahrt auf der gewohnten Strecke fortzusetzen. Gedacht, getan. Irgendwie kam mir das abgesperrte Gebiet aber schon aussergewöhnlich gross vor.
Mein Umweg brachte mich auf direktem Weg über die Strasse vom Weißen Kreuz zur Bienwaldmühle. Dort überquerte ich die Grenze und setzte meine Tour auf der französischen Seite wie gewohnt fort. Man muss dazu eine Schnellstrasse passieren um auf einem Parkplatz in den Trail einzusteigen. Der erste Teil lief sehr gut. Ich schaffte sogar zwei ziemlich hakelige Stellen ohne Sturz oder Abstieg.
Plötzlich kam ein ziemlich alter Mann mit einer orange-roten Weste bekleidet aus dem nahen Gebüsch gesprungen und schrie: „Attendez Monsieur, Attendez! Chasse en cours, Chasse en cours“. Ich muss wohl nicht erwähnen, das ich einen mörderischen Schreck bekam und glaubte, mein Herz würde stehenbleiben. Was wollte das Hutzelmännchen denn von mir und warum musste der mich so erschrecken? Kurz bevor ich ihm mein Rad an den Osteoporose-geplagten Leib werfen konnte, sendete mein (Fremd-)Sprachzentrum eine Botschaft, in der von Jagd die Rede war. Langsam begann es zu dämmern.
Ach, so machen die Franzosen das also. Bei uns schießen die Alten und wenn sie viel Glück haben treffen sie auch das Wild. Bei den Franzmännern schiessen also die Jungen und die Alten setzen sich ins Jagdgebiet. Wenn sie Glück haben, hat sich das Thema Rente dann relativ schnell erledigt. Vive la revolution!
Naja, jedenfalls verstand ich, das ich schleunigst hier weg muss, weil man eine Hatz veranstaltet. Mmh, große Hatz, internationale Hatz, zentraleuropäische Hatz.
„Ok“, dachte ich mir: „Ich will der europäischen Jagdkooperation auf keinen Fall im Wege stehen, noch möchte ich ihr zum Opfer fallen.“ Da ich befürchtete, eine gesamteuropäische Jagt würde vielleicht auch Belgien und die Niederlande einschliessen, beschloss ich das Jagdgebiet in Richtung Karlsruhe und somit in Richtung Rhein zu umfahren. Also fuhr ich erst auf der Schnellstrasse, auf der Räder normalerweise verboten sind, nach Wissembourg. Seltsamerweise begegnete mir nicht ein einziges Auto. Meine Befürchtung war, das meine französisch Kenntnisse es wahrscheinlich nicht zuließen, meine Situation den eventuell auftauchenden Flics landessprachlich zu erklären. Die stellen sich dann nämlich gerne mal unelsässisch an und verstehen plötzlich kein deutsch mehr. Scheinbar war ganz Wissembourg Flic-frei aber von der Jagd umstellt. An allen bekannten Ausgängen, befanden sich Sperrschilder. Also nahm ich die einzige mir mögliche Route. Am Hippodrome vorbei in Richtung Lauterbourg, Berg.
Wie Sie vielleicht aus den Medien erfahren haben, tat sich nun gerade am Samstag Mittag im sonst so beschaulichen und ruhigen Örtchen Berg Grosses. Man vermutete, das der Zug mit den Castoren nach Gorleben die deutsch französische Grenze im kleinen Örtchen Berg in der Pfalz passieren werde. Genau, das Berg, das Ziel meiner Umfahrungsaktion war. Das Berg, in dem hunderte Leute aus Protest auf den Schienen saßen, Ortsansässige ihren Kindern empfahlen nicht vor die Türe zu gehen, aus Angst vor dem nächsten kombinierten Pfefferspray und Wasserwerfer Einsatz. Und JA, das Berg, das rundherum hermetisch abgeriegelt war und aufgrund dessen ich gezwungen wurde, einen weiteren Umweg diesmal zurück aber auf deutscher Seite in Kauf zu nehmen.
Plötzlich konnte ich mir auch die Jagdgesellschaft, die komplette Abwesenheit aller französischen Polizisten sowie die plötzliche Anwesenheit deutscher Polizisten (hier in der Südpfalz findet man die sonst nämlich gar nicht) erklären. Auf meinem Weg nach Hause hatte ich auch meine 80 km auf dem Tacho, war jedoch überhaupt nicht entspannt, durchgefroren, weil ich nicht im Wald, sondern auf offenem, vom Wind ungeschützen Feld fuhr und total ausgelaugt. Ich habe mich nicht auf die Schienen gesetzt, noch daran angekettet.
Ich habe mich auch nicht von irgendwelchen Brücken abgeseilt, weil mir der Sinn einer solchen Aktion sowieso rätselhaft erscheint. Für‘s Schottern hatte ich leider nicht die passenden Handschuhe dabei. Aber ich muss zugeben, ich dachte darüber nach, was denn der Protest gegen den Protest sein könne: Die Leute mal eine Nacht an den Schienen angekettet lassen? Dafür sorgen, das die Brückenabseiler nicht von ihren Seilen kommen? Jeden Schotterer mal einen Kilometer Schiene von Hand verlegen lassen? Ich hatte tolle Ideen, während ich frierend nach Hause pedalierte. Zugegebenermassen wären die meisten davon nicht unbedingt konform mit dem Grundgesetz gegangen. Aber wie sagt der Franzose: Vive la revolution!
Letztendlich war ich jedoch froh, das meine Energien erneuerbar waren. Denn schon eine Stunde nachdem ich mich in der Badewanne aufgetaut hatte, konnte ich schon wieder protestieren:
Gegen Castor-Transport-Protestanten, die auch unsere Steuergelder verprassen, unsere Bahnstrecke unsicher machen, dafür sorgen, das man nicht zum Super-U fahren konnte und das meine Wochenendtour zur WochenendTORtour wurde.